Heart of Europe. The Power of Faith, Vision and Belonging in European Unification – Europas Seele suchen. Eine Tagung zum 100. Geburtstag von Adam von Trott

Heart of Europe. The Power of Faith, Vision and Belonging in European Unification – Europas Seele suchen. Eine Tagung zum 100. Geburtstag von Adam von Trott

Organisatoren
Stiftung Adam von Trott, Imshausen e.V.
Ort
Bebra-Imshausen
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.05.2009 - 17.05.2009
Url der Konferenzwebsite
Von
Ute Janßen, Stiftung Adam von Trott, Imshausen e.V., Bebra-Imshausen

Vom 15. bis 17. Mai 2008 veranstaltete die Stiftung Adam von Trott, Imshausen e.V. aus Anlass des 100. Geburtstages von Adam von Trott die internationale und interdisziplinäre Tagung „Heart of Europe. The Power of Faith, Vision and Belonging in European Unification”. Trott gehörte zum Kreisauer Kreis, war beteiligt an den Vorbereitungen des Attentats vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler und wurde am 26. August im Alter von 35 Jahren in Plötzensee hingerichtet. Seine Überlegungen und Visionen zu einem vereinten Europa nach dem Krieg waren Ausgangspunkt für die Tagung, in deren Zentrum die Suche nach der kulturellen und historischen Formatierung Europas - der „Seele“ - stand. Die Veranstaltung wurde inhaltlich von Dr. Katharina Kunter (Privatdozentin an der Universität Karlsruhe) vorbereitet. Schirmherr der Tagung war Staatsminister Günter Gloser vom Auswärtigen Amt.

FRÉDÉRIQUE DANTONEL (Berlin) arbeitete den Zusammenhang zwischen Adam von Trotts Engagement für ein geeintes Europa und der Bedeutung des Widerstandes für den Neuaufbau der Kirchen in der Nachkriegszeit heraus. Dabei stellte sie die von ihm mit verfassten Kreisauer Dokumente in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. Trott als „Architekt“ der Kreisauer Außenpolitik habe insbesondere in seinen „Bemerkungen zum Friedensprogramm der Amerikanischen Kirchen“ vom November 1943 sehr präzise Vorstellungen für die angestrebte europäische Föderation formuliert. Die christlichen Kirchen hätten, so Dantonel, im Kreisauer Kreis eine nicht unwesentliche Rolle gespielt. Da in ihm Vertreter beider Konfessionen repräsentiert gewesen seien, wurde von einigen Mitgliedern des Kreises die Forderung erhoben, dass die Kirche ihre seelsorgerliche Stimme angesichts des herrschenden Unrechts nunmehr auch öffentlich erheben müsse, ohne jedoch „selber Politik zu machen“.

Nach dem „Herz“ von Adam von Trotts Visionen eines geeinten Europa fragte NANCY LUKENS (New Hampshire, USA). Lukens konstatierte, dass Trott in vielen seiner Texte so geschrieben habe, dass die „oberflächliche“ Textschicht, die in deutlichem Bewusstsein des mitlesenden Zensors geschrieben wurde, als Tarnung dienen konnte, dass aber ein anders gesinnter Leser im Subtext deutlich die unterschwellige, „andere“ Botschaft Trotts habe wahrnehmen können. Daraus ergebe sich für heutige Leser die Notwendigkeit, sich den Subtext dieser „beherrschten Prosa“ Trotts bewusst zu machen, um die Texte, auch die offiziellen, überhaupt vollständig wahrnehmen zu können. Lukens belegte diese These mit einigen Texten aus der Korrespondenz und machte deutlich, dass Trott vor allem in seinen späten Schriften die Vision einer gerechten, friedlichen Weltordnung skizziert. Ausgehend von der Überzeugung, dass Europa ein stärkeres Gewicht habe als alle nationalistischen Bestrebungen, solle das moralische und politische Fundament dieser neuen Weltordnung in Souveränität, Solidarität und Respekt bestehen.

CHRISTIAN ROY (Montréal, Kanada) setzte den französischen Personalisten und Europapionier Alexandre Marc in Bezug zu Harro Schulze-Boysen, der einer der Köpfe des anti-nationalsozialistischen, kommunistischen Widerstandsnetzwerkes „Rote Kapelle“ war. Schulze-Boysen und Marc hatten trotz unterschiedlicher Ausgangspunkte intensiv und grenzüberschreitend für die Idee eines geeinten Europa geworben. Für Schulze-Boysen sei Europa allerdings lediglich eines der möglichen Schlachtfelder im weltweiten Kampf der Mächte um den Fortschritt gewesen. Marc hingegen habe als professioneller Revolutionär die europäische Idee als „Dritten Weg“ und als Alternative zur Unmenschlichkeit der einander gegensätzlich gegenüberstehenden Systeme des Kapitalismus und des Sozialismus verstanden.

ELANA PASSMAN (North Carolina, USA) analysierte zwei Beispiele für die französisch-deutsche Versöhnungsarbeit als ein Fundament des neuen geeinten Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen seien die beiden Organisationen BILD (Bureau International de Liaison et de Documentation) und das Comité Français d'Échanges avec l'Allemagne Nouvelle (CFEAN) an die Aufgabe der Wiederannäherung der beiden Völker herangegangen. BILD habe zunächst Verbindungen vor allem zur katholischen Kirche in Deutschland gesucht. Deren Rolle im Widerstand gegen die Nationalsozialisten habe die Organisation in nicht ganz unproblematischer Weise betont, indem sie die Katholiken als „die ersten Opfer des Nazismus“ bezeichnet habe. Anders als BILD sei das CFEAN fast ausschließlich in Frankreich verwurzelt gewesen. Deutsche Mitglieder seien nicht zugelassen gewesen. Beide Organisationen hätten versucht, die Deutschen durch die Wiederannäherung an den Nachbarn Frankreich von den „Geistern der nationalistischen Vergangenheit“ zu befreien. Letztendlich habe sich die pragmatischer orientierte und weniger radikale Linie von BILD durchgesetzt.

SYLVIA BROWN (Alberta, Kanada) beleuchtete die Sicht auf Europa aus der Perspektive englischer religiöser Radikaler des 17. Jahrhunderts und setzte diese in Bezug zur heutigen Realität. Brown zeigte die Kontinuitätslinien zwischen dem durch konfessionelle Kämpfe und durch apokalyptische Vorstellungen geprägten Europa des 16. Jahrhunderts und den heutigen Idealen von Frieden und Toleranz auf. Insbesondere radikale protestantische Kreise in England hätten schon früh Ideen vertreten, die stark an „moderne“ Vorstellungen erinnerten, obwohl zwischen den verschiedenen Gruppen ebenfalls durch Intoleranz geprägte Fronten verliefen. Die Wiederherstellung der Einheit zwischen den unterschiedlichen protestantischen Gruppen galt als wichtige Voraussetzung für das Millennium, das tausendjährige Reich Christi auf Erden.

Nach europäischen Ursprüngen in der frühen Moderne suchte auch JOHN CONSIDINE (Alberta, Kanada). Als eines der konstituierenden Momente für das Konzept einer europäischen Identität bezeichnete Considine die Konfrontation mit den nicht-christlichen Mächten, die ihren Ursprung in Asien hatten. Die Bezeichnung „Europa“ sei bereits in der griechischen und römischen Antike und im Mittelalter verwendet worden. Zwischen dem 16. und dem frühen 18. Jahrhundert sei das Konzept „Europa“ basierend auf zwei erklärenden Narrativen mit neuer Klarheit und Überzeugungskraft neu formuliert worden. Dieses sei zum einen das Netzwerk von Heiraten gewesen, das die Dynastien in der gesamten christlichen Welt und darüber hinaus verbunden habe. Zum anderen habe man Verbindungen zwischen den Sprachen Europas entdeckt und zu erklären versucht. Ab dem 16. Jahrhundert habe es umfangreiche Forschungsarbeiten gegeben, die sich mit den Ähnlichkeiten der europäischen Sprachen befassten.

HIRAM KÜMPER (Bielefeld) ging in seinem Vortrag dem Begriff „Alteuropa“ bzw. des „Alten Europas“ nach und fragte nach seinen gemeinsamen Werte und den Grenzen zwischen dem „Alten“ und einem „Neuen Europa“. Der Begriff des „Alten Europa“, so Kümper, sei bereits seit dem 9. Jahrhundert verwendet worden, charakterisiere allerdings keine einheitliche, kohärente Idee, sondern eine Vielzahl verschiedener Modelle. Kümper konstatierte, dass Veränderungen in der Selbstwahrnehmung als Europäer häufig verbunden gewesen seien mit epochalen historischen Veränderungen. Als Beispiele nannte er die Französische Revolution und die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die Entwicklung des Marxismus sowie die Abgrenzung zu den Vereinigten Staaten von Amerika als Vertreter der „New World“. Daher sei eine gründliche Analyse der „alt-europäischen“ Traditionen mit ihren teilweise sehr eurozentristisch geprägten Vorstellungen wichtig, um ein tieferes Verständnis für die Wurzeln der modernen europäischen Kultur zu entwickeln.

MASSIMO FAGGIOLI (St. Thomas, USA) betrachtete in seinem Beitrag den Einfluss der katholischen Kirche auf Europa nicht allein aus theologischer, sondern auch aus politisch-historischer Perspektive. Im 20. Jahrhundert habe sich das Gewicht spätestens nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil von einem europäisch geprägten Katholizismus hin zu einem „Weltkatholizismus“ verschoben. Vor allem die Katholiken in Lateinamerika, Asien und Afrika seien sehr viel aktiver geworden und hätten die ehemalige „Exportreligion“ seit dem Beginn der Dekolonisation stark verändert. Dennoch habe der Katholizismus starken Einfluss auf Europa gehabt - wie auch umgekehrt Europa auf den Katholizismus. Allerdings seien sich die Führer des Katholizismus der geopolitischen und kulturellen Folgerungen aus dem Konzil bis heute noch zu wenig bewusst. Dies sei schon daran zu erkennen, dass das Pontifikat Benedikts XVI., das als „europazentriertes Pontifikat“ begonnen habe, zunehmend weniger Bezüge zu Europa und seiner „Seele“ aufweise.

HARUTYUN HARUTYUNYAN (Münster) stellte in seinem Referat das Verhältnis der orthodoxen Kirchen zum Gebilde Europa dar. Mit der Erweiterung nach Osten habe die Orthodoxie in Europa an Bedeutung gewonnen. Allerdings, so betonte Harutyunyan, hätten noch nicht alle Kirchen in Ost-Europa ihren Platz in der Demokratie gefunden und sich von „Kirchen der Kleriker“ zu Kirchen „des Volkes Gottes“ entwickelt. Zu diesen gehörten in jedem Falle eine aktive Laienschaft, karitative Zusammenschlüsse, Jugendbewegungen, eine zeitgemäße Theologie und die Bereitschaft zu internationaler Zusammenarbeit. Die orthodoxen Kirchen in Ost-Europa seien dabei nicht als monolithischer Block zu betrachten, sie hätten auch in Bezug auf ihre Stellung zur Europäischen Union sehr unterschiedliche Positionen. Manche verträten sehr radikale Tendenzen, die zu religiöser Intoleranz führen könnten.

JULIA SUSHYTSKA (Redlands, USA) fragte in ihrem philosophischen Beitrag nach inneren und äußeren Grenzlinien, die die Staaten in Ost- und Westeuropa sowie die in ihnen lebenden Menschen trennen. Grenzen trennten nicht nur, sondern ermöglichten gleichzeitig auch Kommunikation und Austausch. Daher könnten sich gerade im Grenzland „Zwischenräume“ für multiple Identitäten, Kulturen und Räume bilden und zu Ausgangspunkten für Neues werden. Daher müssten Grenzen flexibel werden. Das gelte besonders für die Grenzlinien zwischen Ost- und Westeuropa, wobei die Zugehörigkeiten hier nicht nur geographische Bedeutung hätten, sondern auch in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht wesentlich seien. Osteuropa sei das „Dazwischen“, die Existenz des Anderen im Inneren des Selbst, die Präsenz des Nicht-Westens im Westen und umgekehrt. Osteuropäer zu sein, so Sushytska, bedeute, die Grenzen in sich selbst zu haben und durch das Netz der üblichen Dichotomien zu fallen. Ein Osteuropäer sei weder Europäer noch Nicht-Europäer, weder ein Bürger des Westens noch der Dritten Welt.

INES SOLDWISCH (Aachen) beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit der Wahrnehmung der EU durch ihre Bürger. Dabei untersuchte sie auch, welchen Effekt EU-Symbole für die Ausbildung einer gemeinsamen europäischen Identität haben könnten. Als „Marksteine“ hatte Soldwisch dabei die ersten Wahlen zum Europäischen Parlament (1979), die Einführung des Euro (2002) und die Unterzeichnung des Vertrages für eine europäische Verfassung (2004) gewählt. Obwohl mit der Möglichkeit zur Wahl eines Parlaments den EU-Bürgern erstmals eine aktive Rolle zugestanden wurde, sei seit 1979 ein kontinuierliches Absinken der Wahlbeteiligung zu beobachten. Schon das zeige, dass das Verhältnis der Bürger zur Union als Entscheidungsträger nicht spannungsfrei sei. Auf der anderen Seite sei ein direkter Zusammenhang zwischen positiven Haltungen zu Europa und dem Gefühl einer europäischen Identität zu beobachten. Dennoch bleibe festzustellen, dass die Mehrheit der Menschen in der EU die Union generell unterstütze.

Mit Erinnerung und Politik aus der Perspektive Estlands beschäftigte sich EVA-CLARITA ONKEN (Tartu, Estland) in ihrem Vortrag. Onken betonte, dass für die Gründung der ersten europäischen Institutionen in der Nachkriegszeit vor allem das „Nie wieder!“ in Bezug auf die Gräuel des Nationalsozialismus der wesentliche Faktor gewesen sei. Noch heute sei die Anerkennung des Holocaust eine der wichtigsten „Eintrittskarten“ nach Europa. Dies sei allerdings für viele der osteuropäischen Mitgliedschaftsanwärter schwer nachzuvollziehen gewesen. Sie argumentierten, dass einer Anerkennung der Verbrechen an den Juden zunächst die Erinnerung und Anerkennung der lange verschwiegenen und unterdrückten eigenen Leiden vorangehen müsse. Mit der EU-Erweiterung von 2004 habe jedoch das osteuropäische Gedächtnis an Bedeutung gewonnen und die Erzählspuren des „alten“ Europa seien in Frage gestellt worden. Seit 2005 sei eine zunehmende Anzahl vor allem osteuropäischer Initiativen erkennbar, die sich bemühten, das post-kommunistische Gedächtnis in die Debatte um eine europäische Identität einzubringen.

Die Abschlussdiskussion versuchte schließlich, die zeitlich von der Frühen Neuzeit bis in die unmittelbare Gegenwart reichenden Tagungsbeiträge im Hinblick auf ihren fachübergreifenden Erkenntnisgewinn zur Debatte um die „Seele Europas“, wie sie von Jacques Delors benannte wurde, zusammenzufassen. Die metaphorische Annäherung an Europa über ein Bild wie „die Seele“ oder „das Herz“ sei, so die übereinstimmende Meinung der Teilnehmer und Teilnehmerinnen, äußerst geeignet, um interdisziplinär ins Gespräch über Europa zu kommen. Damit könne sowohl in historischer, theologischer, philosophischer, politologischer oder sprachwissenschaftlicher Perspektive interdisziplinär verständlich gemacht werden, dass es sich bei der Annäherung um Europa immer um geschichtlich und kulturell gewachsene Konstruktionen und Identitäten handele. Inwiefern mit einem solchen Ansatz allerdings auch die soziale Wirklichkeit der europäischen Gegenwart in den Blick genommen werden könne, blieb eine offene Frage. Europa bleibe weiterhin eben auch immer eine Zukunftsfrage, die sich allerdings mit dem Blick zurück in die Vergangenheit durchaus von verengenden Interpretationen befreien könne. Dazu gehöre etwa die Einsicht, dass gemeinsame Werte angesichts der Vielfalt auf dem Kontinent nur sehr schwer zu definieren seien, ebenso wie sich die Frage nach den Grenzen Europas nicht endgültig beantworten lässt, wie die Diskussionen wie die um den Beitritt der osteuropäischen Länder oder der Türkei gezeigt haben. Hinzu kämen die offensichtlichen Akzeptanzprobleme der Bürger, die die EU häufig lediglich als administrative Instanz mit übersteigerter Regelungswut wahrnähmen und nicht als eine Wertegemeinschaft, die tatsächlich mit einer gemeinsamen Identität verbunden sei.

Konferenzüberblick:

Frédérique Dantonel: Adam von Trott and his Heritage for Europe and the Church

Nancy Lukens: Head, Shoulder, Stomach and Heart: Utopian Realism in Adam von Trott's Vision for Europe

Christian Roy: Visions of Europe and Revolution in the intersecting activis and Resistance Trajectories of Harro Schulze-Boysen and Alexandre Marc

Elana Passman: In Search of a Moral Community: Christianity and Resistance as Foundations of Post-War Franco-German Cooperation

Sylvia Brown: Millenarian Europe. The View from English Religious Radicals of the Seventeenth Century

John Considine: Genealogical Narratives and European Identity (1520-1720)

Hiram Kümper: „Occident“ or „Old Europe“? Post-Modernity in Search for Common Cultural Roots

Massimo Faggioli: Europe and Modern World in the Catholic Narrative during the 1960s: Migration, Decolonization and De-Europeanization

Harutyun Harutyunyan: Orthodox Churches and European Unity. A Contradiction or a Complementation?

Julia Sushytska: Philosophizing on the Borders between Europe and its East

Ines Soldwisch: Symbolsm in European Integration. A Dividing Force or Meaningless Efforts?

Eva-Clarita Onken: Source for Unity or unbridgeable Divide? Memory and Politics in the enlarged Europe